Donnerstag, 8. Juni 2017

Der Duft des Ligusters


Ligusterblüten im Gräserstein
Ziemlich spät wurde es gestern, ehe ich mich endlich auf den Weg machte, um meine Vorräte aufzufüllen. Die vorangegangenen Tage haben mich Kraft gekostet.

Selbstüberwindung ist ein großer Krafträuber.

Wie dem auch sei, ich kaufte ein, dazu noch sehr günstig, denn viele Gemüsesorten gab es zum halben Preis. Mit Gemüse dürfte ich für die nächsten Tage mehr als ausreichend versorgt sein.

Auf der meinem Discounter gegenüberliegenden Straßenseite sah ich ein paar weiß blühende Hecken. Die Hoffnung auf ein paar duftende Ligusterblüten, mit denen ich meinen Gräserstein bestücken wollte, bewegte mich dazu, nach dem Einkauf die Straße zu überqueren.

Was ich fand, waren sternförmige weiße Blütenbüschel, die zwar nicht besonders dufteten, aber bezaubernd anzusehen waren. So pflückte ich einige davon, nahm von den anderen weißen Blüten auch ein Stängelchen mit und fügte als Farbkontrast einen Stiel Ackersenf dazu. Lediglich den Ackersenf wusste ich zu benennen, immerhin hatte ich einmal viel Zeit damit verbracht, dem Namen des gelb blühenden Krautes auf den Grund zu kommen.

Kurz vor Erreichen der Stelle, an der ich wieder auf "meine" Straßenseite wechseln musste, stieg mir der unwiderstehliche Honigduft des Sommerflieders in die Nase. Die winzigen lila Blüten des Sommerflieders duften intensiv nach Honig und so wanderte auch davon ein kleiner Blütenzweig in meine Hand.

Zu Hause angekommen arrangierte ich die Blüten in ein kleines Keramikgefäß, das einmal Senf enthalten hatte. Ganz speziellen Senf aus Köln, den mir meine Schwägerin zum Geschenk gemacht hatte, als wir uns 2014 dort trafen. Würde sie noch leben, es würde sie freuen, dass dieses kleine Gefäß einen neuen Bestimmungszweck gefunden hat.

Nachdem die kleine Vase ihren Platz auf meinem Schreibtisch eingenommen hatte und der Einkauf verstaut war, trieb es mich, zu meiner eigenen Überraschung, wieder hinaus.

Normalerweise verlasse ich die Wohnung nicht mehr, wenn ich erst spät einkaufen war, schon gar nicht, wenn das Wetter kühl und unbeständig ist und man jederzeit mit einem neuen Regenschauer rechnen muss.

Halb acht schon. Der Himmel mit dicken grauen Wolken geschmückt. Keine idealen Voraussetzungen für einen Spaziergang.

Trotzdem, eine halbe Stunde müsste "drin sein". Also habe ich die Regenjacke aus Amsterdam übergezogen, den Schal aus Versailles um den Hals geschlungen, Kamera und Schlüssel eingesteckt und bin los.

Laufen tut mir gut. Die gleichmäßige Bewegung hilft mir mich zu erden, klärt meine Gedanken und bildet das notwendige positive Gegengewicht zu den inneren Vorgängen der letzten Tage.

Ohne ein bestimmtes Ziel schlendere ich durch die Straßen, wobei ich die ruhigeren Seitenstraßen immer bevorzuge. Nach ein paar Minuten komme ich an eine der vielen Ligusterhecken vorbei, die man hier findet und natürlich stecke ich alle paar Meter meine Nase in die Blüten, um tief ihren Duft zu inhalieren. Ebenso natürlich ernte ich so einige verwunderte Blicke ob meines seltsamen Tuns. Darüber lache ich nur, denn ich bin mindestens ebenso erstaunt, dass niemand sonst diesen Duft wahrnimmt und genießt.

Mein Weg führt eine lange Zeit fast geradeaus, bis mir einfällt, dass ich den Weg zurück auf jeden Fall auch zu Fuß machen muss, da meine Monatskarte leider ihren Aufenthalt nicht geändert hat und daher noch in meinem Rucksack steckt. Die halbe Stunde ist längst vorbei. Dämmerung verwandelt sich in Dunkelheit und mein Weg zurück geht am Kanalufer entlang. Es riecht nach schwerer feuchter Erde und, je nachdem wie der Wind steht, nach Liguster oder dem am Kanal zahlreich blühenden Holunder.

Im Wasser spiegeln sich die grellen Lichter der Straßenlaternen und das warme Licht der erleuchteten Wohnungen. Es wird ruhiger in der Stadt. Weniger Autolärm, nur noch wenige Menschen unterwegs. Ein paar Jogger, Menschen mit ihren Hunden auf der letzten Gassirunde. Das entfernte Krächzen einer Krähe, das müde Quaken einer Ente. Die Geräusche werden weniger, erscheinen gedämpfter.

Ein Verkehrshut (Warnpylone) als Leuchte - Ideen muss man haben.
Der Geruch der Bäume, Erde und Pflanzen verstärkt sich. Füllt die Luft, hüllt mich ein. Einatmen. Durchatmen. Vollkommen im Hier und Jetzt.

Fast bedauere ich den Schwenk auf die nächste Straße, die letzten Meter bis ich wieder da bin, von wo ich losging. Es ist spät , aus der halben Stunde sind inzwischen mehr als drei geworden.

Auf der Brücke, die sich an dieser Stelle über den Kanal spannt, höre ich das dumpfe Geräusch eines Motors auf dem Fluss. Um diese Zeit transportieren die Schiffe Lasten, keine Touristen. Ein paar schnelle Bilder, dann wird es Zeit, dass ich nach Hause komme.


Nacht auf dem Kanal - Lastkahn

Bevor ich sie sehen kann, rieche ich sie: die Blüten des Ligusters! An diesem Ort habe ich überhaupt nicht damit gerechnet. Ein paar Blüten müssen unbedingt mit, denn mein Gräserstein wartet noch auf eine Füllung.

Es sind keine besonders hübschen Blüten, immerhin ist es dunkel, als ich sie pflücke, aber ihr Duft ist enorm. Es ist erstaunlich, wie viel Duft in diesen zarten Blüten steckt. Er erfüllt den ganzen Raum und ist mir fast schon zu stark, wenn ich am Schreibtisch sitze und ihn einatme. Aber nur fast, denn die Freude über die Blüten überwiegt bei Weitem.

Nun stehen sie auf meinem Schreibtisch und erfreuen meine Augen, meine Nase und meine Seele.

Gräserstein mit Liguster - Sommerflieder, Ackersenf, Falscher Jasmin und die Blüten des Maiblumenstrauchs (Deutzie)

Kleine Dinge haben oft eine große, ungeahnte Wirkung.


Ariana




© Fotos & Text by Ariana Lazar 08/06/2017

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