Sonntag, 4. Juni 2017

Die Geschichte einer Suche

Eine Kurzgeschichte

von

Ariana Lazar


Sie konnte sich schon selber kaum noch daran erinnern, wann sie die Suche begonnen hatte, aber es musste zu der Zeit gewesen sein, als noch massive Eismassen das Land bedeckten während Mammuts, Riesenhirsche, Wollnashörner und Rentiere das Gesicht der Erde prägten.

Anfangs hatte ihr die Suche noch Spaß gemacht, es war ja alles neu für sie und es gab  nur wenige Ihrer Art, auch wenn es viel mühsamer war, die wenigen Menschen aufzuspüren, als sie geglaubt hatte.

Die Zeit verging, es wurde einfacher Menschen zu finden, aber wohin sie sich auch wandte, wie sehr sie auch suchte, ihr war kein Erfolg beschieden. Alle schüttelten nur unwillig die Köpfe, drehten ihr den Rücken zu oder verscheuchten sie gar mit wild herumfuchtelnden Händen. Sie war eben zu klein, zu unbedeutend.

Unverdrossen suchte sie weiter, Tag um Tag, Jahreszeit um Jahreszeit. Wie viele Sommer und Winter inzwischen vergangen waren, vermochte sie nicht zu sagen, aber es mussten  eine Unmenge sein, denn das Gesicht der Erde hatte sich drastisch gewandelt.

An Stelle der Mammuts, Riesenhirsche und Wollnashörner waren Blechkisten getreten, die die Luft verpesteten und in deren Innern Massen von Menschen durch das einst grüne Land reisten. Unzählige Menschen, so viele, wie niemals zuvor und doch war ihre Suche noch immer vergeblich, denn die Ablehnung die ihr entgegenschlug blieb immer gleich.

Mutlos saß sie dort oben auf ihrem Aussichtsplatz, hoch über den Dächern der steinernen Stadt, das Geläut der Glocken nicht achtend. Wieder einmal versuchte sie ihre andauernde Erfolgslosigkeit zu ergründen.

Was war es nur, dass sie anscheinend so grundlegend von den anderen ihrer Art unterschied? Denn auch ihresgleichen existierte in dieser neuen Welt in unfassbarer Menge. Oh, so viele von ihnen wurden geliebt und gehegt, gehätschelt und getätschelt. Es gab sie in allen Formen, kurz und lang, ausufernd und prägnant, gebunden und frei, gute und schlechte.

Nur sie, sie fand niemanden. Dabei war sie eher kurz und sie würde auch ganz bestimmt nicht viel Platz wegnehmen. Sie konnte sich prima kleinmachen. Ein winzig kleines Eckchen zum wohnen, mehr wollte sie doch gar nicht.

Ein tiefer Seufzer entrang sich ihr, dann erhob sie sich und wehte davon. Ein neuer Tag begann und mit ihm wie immer die winzige Hoffnung fündig zu werden.

Der erste Mensch, den sie an diesem Tag besuchte, lag noch in tiefem Schlaf, doch gerade, als sie es sich bei ihm gemütlich machen wollte, gab es dieses grässlich schrille und nicht enden wollende Geräusch. Der Mensch fuhr erschrocken hoch und ihr war sofort klar, dass sie HIER gleich wieder gehen konnte.

Würde sie  eben bei dem Elektroladen um die Ecke reingucken, da war um diese Tageszeit nicht viel los. Bei dem Eigentümer brauchte sie es gar nicht erst zu versuchen, der hatte schon lange keine Träume mehr, aber vielleicht bei Gerd, von dem man sagte, er sei ein Tagträumer. Gerd war Azubi und in ein paar Tagen war die nächste Klausur fällig. Er zermarterte sich das Hirn bei dem Versuch, es mit den Physikfragen zu füttern und Yahminah drehte enttäuscht um.

Einige Zeit irrte sie ziellos durch die Straßen, bis ihr die Frau in dem Café gegenüber auffiel. Neugierig näherte sie sich. Claudia, die Kellnerin, starrte blicklos vor sich hin, es war einfach nichts los in dem Laden! Nachdem Yahminah die Lage gepeilt und erleichtert festgestellt hatte, dass diese Claudia gar nicht dachte, wagte sie es. Ein mutiger Hüpfer und ... Bruchlandung! Mit sooo wenig Gehirntätigkeit hatte selbst Yahminah nicht gerechnet und ihr waren einige seltsame Menschen seit der Eiszeit begegnet! Wie sollte sie denn bitte ein Plätzchen für sich finden, wenn nur Vakuum vorhanden war??

Voller Empörung rieb sie sich ihre schmerzenden Teile, schenkte der Bedienung einen unbemerkt bleibenden vernichtenden Blick und stapfte hinaus.

Das war wieder einmal einer dieser Tage, der sie an sich und den Menschen zweifeln ließ.

Meine Güte, immer erwischte sie entweder die Falschen, den verkehrten Augenblick oder jemand ihrer Art war gerade da und verjagte sie!

Trotzdem kam Aufgabe schlicht nicht in Frage, sie hatte ja schließlich ihren Ehrgeiz und wenn Millionen ihrer Art, die viel mehr Platz beanspruchten, als sie selber, einen Platz gefunden hatten, dann würde sie das auch!

Als die Nacht hereinbrach, hatte sie wohl weit über hundert Mal ihr Glück versucht. Vergebens. Gelang es ihr kurzzeitig, sich bei jemandem niederzulassen, schien dieser Mensch nicht so recht zu wissen, was er denn mit ihr anfangen soll und vertrieb sie. Die Art der Vertreibung reichte von leichtem, etwas unwilligen Kopfschütteln, über ein paar kräftige Flüche bis zu aktiver Ignoranz. Einer schlug sogar heftig mit der Faust auf den Tisch, als er sie in der dunklen Ecke bemerkte und warf sie wutschnaubend hinaus.

Nach diesem Vorfall ging sie ein wenig behutsamer vor. Einige Male begegnete sie auch anderen ihrer Art, aber diese waren nur damit beschäftigt, ihre eigenen Plätze zu verteidigen und Höflichkeit hielt in dem Zusammenhang  jeder für Zeitverschwendung, so dass sie dort von selbst schnell verschwand.

Die Nacht war schon weit fortgeschritten, die meisten Fenster dunkel und Yahminah war  so müde, dass sie, ohne es wirklich zu bemerken, durch eines der wenigen, schwach erleuchteten Fenster in das im Halbdunkel dahinter liegende Zimmer taumelte.

Schon halb schlafend, ließ sie sich auf dem warmen, leuchtenden Monitor nieder und atmete tief durch. Was machte diese Frau da eigentlich? Warum lächelte sie so?

Zu spät bemerkte sie, dass sie nicht die Einzige ihrer Art in diesem Raum war. Überall um sie herum war ein Wispern und Raunen, das Zimmer war voll davon. Unzählige Wesen beobachteten jede ihrer Regungen, so dass sie ein unbehagliches Gefühl überkam. Vergangene Begegnungen dieser Art waren bisher immer negativ für sie ausgegangen.

Noch nie war Yahminah so vielen ihrer Art auf einmal begegnet und da nichts bedrohliches geschah, sah sie sich verstohlen um.

Es gab so viele Verschiedene! Da hockten Dicke neben Dünnen, Kurze schwatzten mit Langen, Gereimte diskutierten mit Ungereimten, Fröhliche plauderten mit Traurigen und Ernste philosophierten mit Komödianten. Es gab sowohl Fertige, als Unfertige und sie entdeckte sogar ein paar mehr oder weniger brummige Angedachte, die einen winzigen Winzling aus seinem Versteck locken wollten.

Eine neue Welt zeigte sich ihr im warmen Licht der Schreibtischlampe und ehe sie es richtig bemerkte, war sie auch schon mittendrin. Sprach mit Jenen, plauderte mit Diesen und vergaß eine Weile, dass sie müde und erschöpft war.
Stunden vergingen, bevor Yahminahs Blick wieder auf die Frau und damit auf den Monitor fiel. Dort stand in großen Buchstaben geschrieben:

Willkommen daheim, Yahminah!


Ihre Suche war beendet! Sie hatte ihn endlich gefunden! Den Menschen, der ihre Geschichte niederschrieb, denn Yahminah war eine Geschichte. Eine Geschichte auf der Suche nach einem Erzähler. Sie war am Ziel!

© by Ariana Lazar 2011

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© Foto 04/06/2017 & Text by Ariana Lazar 23/05/2011

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